Netflix ist praktisch. Ich kann Serien und Filme schauen wann immer ich will. Für ein paar Euro im Monat bietet sich mir eine riesige Auswahl für jede Stimmung. Doch eines kann es nicht: Netflix kann für mich nicht das Fernsehen ersetzen.
Das klingt jetzt erstmal komisch, denn die Plattform versucht immer mehr mit fernsehähnlichen Inhalten zu punkten. Es gibt Serien, Dokus und sogar eigene Shows. Viele Inhalte wie etwa der Tatortreiniger, Sherlock oder The Walking Dead wurden sogar ursprünglich für das Fernsehen produziert. Einerseits ist das toll, denn ich kann alles schauen, wann und wo ich auch bin. Andererseits fehlt mir bei alldem der Charme, der das Fernsehen erst zu Fernsehen macht. So gesehen ist Netflix – und alle vergleichbaren Streamingplattformen – der klinisch reine Bruder des Fernsehens.
Wo bleibt das Wir-Gefühl beim Serienschauen?
Letzte Woche saß ich wieder einmal länger vor meinem Fernseher, hatte gerade die Serie The Keepers auf Netflix entdeckt und wollte unbedingt wissen wie es weitergeht. Eine Folge, noch eine Folge. Draußen wird es dunkel – ach komm, noch eine Folge. Trotz der Serienstruktur habe ich die Serie wie einen Film konsumiert, einen überlangen Film. Und danach dann das Gefühl mit all dem Gesehenen allein zu sein. Will ich mich mit anderen über das Gesehene austauschen, muss ich fragen: Bist du schon bei Folge X?
Irgendwie ist es ja toll alles auf einmal sehen zu können. Andererseits: Worauf soll ich mich dann freuen, wenn es vorbei ist? Ich möchte mich sehnsüchtig auf die nächste Folge freuen können. Ich möchte mich zwischendurch mit anderen über das Gesehene austauschen, spekulieren, dem Gesehenen Luft zum atmen geben.
Wo mich Netflix – dank Algorithmen – immer mit dem füttert, was mir sowieso schon gefällt, zeigt mir das Fernsehen Werbung, Programmtrailer und im besten Fall Sendungen, die ich nur entdecken konnte, weil ich zu faul war umzuschalten.
Wenn ich bei Netflix Serien schaue, muss ich immer selbst aktiv werden. Selbst auswählen, was mich überhaupt interessieren könnte, selbst auf Abspielen klicken und selbst nach Serientiteln suchen, die ich auf der letzten Party aufgeschnappt habe. Vor das Fernsehen kann ich mich auch einfach mal setzen, berieseln lassen und auf Sendungen stoßen, die mir ein Vorschaubild allein nicht vermitteln kann. Becker, Fraiser oder auch Doctor’s Diary hätte ich so sonst nie derart kennen und lieben gelernt, wie ich es heute tue.
Ich will mich nicht ständig entscheiden müssen
Und dann fehlt da noch eine wichtige Komponente: Nachrichten und Informationen. Die Netflix-Dokus sind fast immer auf den amerikanischen Markt ausgelegt, zeitlos und mit ewigen Wiederholungen in die Länge gestreckt. Aktuelle Information wie etwa beim Weltspiegel, der Tagesschau oder auch durch eine Latenight oder Comedy mit Bezug auf Ereignisse in Deutschland, fehlen völlig.
Und ja, man kann von einer Plattform, die als Versand-Videothek gestartet ist, auch eigentlich nicht viel mehr erwarten. Vielmehr ist Netflix auch heute noch – für mich als Endkunden – nicht viel mehr als eine Videothek, die ihren Schwerpunkt auf Serien legt. Gute Serien, ohne Frage, aber genauso wie ich früher vor den Regalen der Videothek stand und mich nicht entscheiden konnte, sitze ich heute viel zu oft vor meiner Netflix-App und kann mich nicht entscheiden. Ich will mich nicht entscheiden müssen, sondern einfach nur einen entspannten TV-Abend haben. Mit Werbepausen, mit Programmtrailern, ja auch mit Zapping und dieser Gewissheit, dass bald wieder eine Sendung kommt, auf die ich mich jetzt schon freue.
Dass auch das Fernsehen nach und nach seine Tugenden verliert, habe ich an anderer Stelle aufgeschrieben.