Innovation ist der Motor für den Fortschritt. Das gilt nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch beim Fernsehen. So versucht sich Sat.1 seit diesem Montag an einer neuen Vorabendserie mit dem verheißungsvollen Titel Patchwork Family. Einer werktäglichen Soap rund um zwei Berliner Familien, die zusammen unter einem Dach wohnen. Dazu gibt es eine frische Optik und jede Menge illustre Charaktere. Doch irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, alles schon einmal gesehen zu haben.
Familienleben wie bei Eine starke Familie
Dreh und Angelpunkt von Patchwork Family ist das Paar aus Polizistin Christina Jäger und Fahrlehrer Michael Wischnewski. Beide bringen je vier Kinder aus vergangenen Beziehungen mit, was selbstverständlich jede Menge Konfliktpotential in sich birgt. Das kennt man nicht zuletzt schon aus 90er Jahre Serien wie Eine starke Familie (OT: „Step by Step„).
Story-Telling und Aufmachung von Modern Family
Doch bleibt es in der Serie nicht nur bei der namensgebenden Patchwork-Familie. Durch teils arg konstruiert wirkende Situationen werden weitere „Familien“ eingeführt, die in irgendeiner Weise mit Christina oder Michael verwandt sind („Das ist mein schwuler Bruder Olaf.“) Das führt dazu, dass es schon in der ersten Folge drei parallele Familie-Stränge gibt, die alle fleißig ihre Meinung von ihrem jeweiligen Sofa aus preisgeben. Nicht das einzige Stilelement, das man sich von der ABC-Serie Modern Family entliehen hat. Verdächtig ähnlich sind sich zudem auch die schwulen Pärchen aus beiden Serien.
Soap-Charakter wie Berlin – Tag und Nacht
Ebenso erinnert mich die Form der Präsentation, die wacklige Kamera, die eingefügten O-Töne und viele – eher aus Dokus bekannte – Kameraperspektiven an Mockumentary-Formate, wie eben Modern Family, Stromberg oder auch Berlin – Tag und Nacht, welches RTL2 einst noch „Realtainment“ nannte. Mittlerweile sollte aber jedem klar sein, dass es eine tägliche Soap im Doku-Stil handelt. Genauso, wie nun auch Patchwork Family in Sat.1. Und offenbar kommt die Ähnlichkeit nicht von ungefähr. Beide Sendungen werden von filmpool produziert.
Darsteller wie bei Mitten im Leben
Zwar sieht Patchwork Family optisch noch einmal deutlich besser aus, über das oft mangelnde schauspielerische Talent der Darsteller täuscht das jedoch nicht hinweg. Ganz im Gegenteil: Hier bekomme ich vor allem in Konfliktsituationen das Gefühl mich bei Scripted Reality-Formaten, wie Mitten im Leben oder Familienfälle zu befinden, vor allem gepaart mit dem fast schon penetranten, allgegenwärtigen Berliner Dialekt. Aber vielleicht kennt Familienvater Michael der ein oder andere auch schon irgendwo her … Christina jedenfalls hat gleich mal ihre Polizeiuniform aus Schneller als die Polizei erlaubt anbehalten.
Also doch nur Patchwork Fernsehen?
Das alles zeigt, dass Sat.1 sich nicht gerade als Innovationsweltmeister bezeichnen darf. Doch ganz abschreiben sollte man die Idee meiner Meinung nach trotzdem nicht. Die offensichtlich größte Inspiration dieser Serie, nämlich Modern Family, kennt hierzulande ein Großteil der Fernsehzuschauer gar nicht. So läuft diese Serie hierzulande nur beim kleinen Spartensender RTL Nitro. Außerdem sind einige Charaktere, wie das schwule Paar Olaf und Henning tatsächlich unterhaltsam – auch wenn sie fast eins zu eins dem amerikanischen Original (Mitchell und Cameron) entsprechen. Die Geschichten sind gut verwoben und in manchen Momenten auch spannend erzählt. So stiehlt sich Nesthäkchen Käthe nachts aus dem Haus, um sich heimlich mit ihrer neuen, aber deutlich älteren, Freund Stone zu treffen und zu den Klängen von Tracy Chapmans Fast Car durch das nächtliche Berlin zu fahren. In dieser Situation habe ich beiden ihre Gefühle abgekauft, weil einfach alles stimmig war.
Das funktioniert jedoch nur, weil relativ wenig gesagt wird und so die tatsächlich schön gedrehten Bilder besser wirken. Die schauspielerischen Leistungen und die viel zu lange netto Sendezeit von fast 45 Minuten tun der Sendung in meinen Augen nicht gut.
So muss ich leider resümieren, dass Sat.1 zwar etwas gewagt hat- allerdings viel zu wenig, um wirklich etwas Neues am Vorabend zu erschaffen. Noch dazu im direkten Gegenprogramm zu Köln 50667.
Man bewegt sich auf zu vielen bekannten Pfaden, so dass ich mich fragen muss, wie ernst gemeint dieser Versuch vom Bällchensender wirklich ist. Dass es trotzdem funktionieren kann, hat Berlin – Tag und Nacht gezeigt, welches sich seine Fangemeinde nach und nach erarbeitet hat. Ob dies auch Patchwork Family gelingen wird, werden die nächsten Wochen zeigen. Ich hege da noch meine Zweifel.
Patchwork Family – seit 28.01.2013 Montag bis Freitag um 18:00 Uhr in Sat.1