Nicht erst seit der öffentlichkeitswirksamen Umbenennung von Facebook in "Meta" ist das Metaverse zu dem Buzzword der Techbranche geworden. Was Mark Zuckerberg da als bunte virtuelle Welt präsentierte hat, ist 1982 in einem Roman als Dystopie geprägt worden. Sehr wahrscheinlich ist: Das Metaverse wird kommen. Das ist beängstigend und faszinierend zugleich.
Als ich im Oktober 2021 das irre Video von der Umbenennung des Facebook-Konzerns in „Meta“ gesehen hatte – in dem von virtuellen Welten, Avataren und Chats komplett in VR gesprochen worden ist – habe ich mir an den Kopf gegriffen und gedacht: Das kann doch nicht deren Ernst sein?! Quietschbunte Welten, in der wir uns mit VR-Headsets virtuell die Zeit vertreiben sollen, statt raus unter echte Menschen zu gehen? Nach nun bald zwei Jahren Corona-Pandemie beinahe eine Horror-Vorstellung.
Schon heute kämpfen viele mit dem Druck, den Sozial Medien auf sie ausüben. Noch ein Filter hier, noch etwas weniger Kleidung da und immer wieder ein noch krasseres Erlebnis als die anderen. In diesem Moment, in dem ich diese Zeilen tippe, erschaffen sich so viele junge (und auch ältere) Menschen eine Parallelidentität auf Instagram, TikTok & co. Ganz zu schweigen von den unzähligen Telegram– und Facebook-Gruppen in denen Menschen sich im Hass vereinen – weil sie sich von der Realität zunehmend abkapseln, statt am Stammtisch in der Kneipe zurückgepfiffen zu werden.
All das soll in einem virtuellen Metaverse also noch einmal potenziert werden? Uff.
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Was ist der Ursprung des Metaverse?
Der Begriff selbst stammt aus dem im Jahr 1982 erschienenen Roman „Snow Crash“ von Neal Stephenson. Das Metaverse ist dort ein riesiger virtueller Rückzugsort, nachdem der Staat sich fast völlig aus dem realen öffentlichen Leben zurückgezogen und die Verantwortung an private Konzerne übergeben hat. Das Metaverse wird für viele zum parallelen virtuellen Staat – mit ganz eigenen Problemen und Herausforderungen.
Trotz allem scheinen zahlreiche Tech-Konzerne wie Facebook – aber auch Epic Games und Microsoft – fasziniert von der Idee eines Metaverse zu sein. Warum? Geld.
Einerseits, um frühzeitig beim „Nächsten großen Ding“ dabei zu sein und nicht abgehängt zu werden, wie andere Tech-Konzerne in der Vergangenheit. Etwa Yahoo einst von Google oder Videotheken von Netflix.
Aber auch, weil man einen neuen Markt schafft will, in dem man digitale und virtuelle Güter verkaufen kann. „Non-Fungible Token“ (NFTs) oder Cryptowährungen wie Bitcoin geben darauf schon jetzt einen Vorgeschmack: Man erwirbt rein virtuelle Güter, ist dann im virtuellen Raum aber auch der einzig legitime Besitzer. Wie im echten Leben quasi – aber virtuell. Einige Spaßvögel verkaufen jetzt schon auf diesem Weg virtuelle Grundstücke auf einem Abbild der realen Erde. Oder bieten über NFTs virtuelle Besitzzertifikate für z.B. Bilder an – auch wenn sich die Bilder selbst weiterhin frei und unendlich kopieren lassen.
Wie lässt sich der Begriff Metaverse umschreiben?
Aber das sind alles nur Ausschnitte aus dem, was ein (oder mehrere?) Metaverse einmal sein soll. Eine der greifbarsten Beschreibungen hat der Investort und Venture Capitalist Matthew Ball Anfang 2020 in einem Essay aufgeschrieben: Kurzgesagt ist das Metaverse demnach eine persistente „Welt“, die in Echtzeit abläuft, beliebig viele „Bewohner“ hat, eine eigene Wirtschaft und eigene Güter hat, die man von einer „Erfahrung“ (z.B. Spiele, virtuelle Häuser, etc.) zur anderen Mitnehmen kann. Hinzukommt eine Verbindung zur physischen Welt und man hat offene und geschlossene Bereiche die voller „Erfahrungen“ sind, die von Firmen und privaten Personen erstellt werden können.
Das kann – ohne Frage – auch eine Welt sein, wie sie Neal Stephenson 1982 beschrieben hat. Ganz abstrakt kann es aber auch eine andere Implementation des heutigen Internets sein. Nicht universell, aber über viele Teilbereiche hinweg. Ein Twitter läuft auch in Echtzeit und bleibt persistent (insofern die Tweets nicht gelöscht werden). Mit Bitcons hat man sich eine eigene Währung geschaffen, die von vielen Diensten im Internet und der realen Welt akzeptiert wird und viele Nutzer haben oft ohnehin schon denselben Avatar (mit Nickname und Foto) über zahlreiche Plattformen hinweg.
Ein anderes, schon jetzt irgendwie greifbares Beispiel, sind Konzerte (mit millionen Zuschauern) und virtuelle Produkte, die im Spiel Fortnite stattfinden. Oder Roleplay-Server bei Minecraft oder Rust – mit eigenen Regeln und Gesetzen und Spielern, die dort Stunde um Stunde verbingen.
Andererseits binden Konzerne wie Google und Microsoft schon jetzt Nutzeraccounts an völlig unterschiedliche Tools: So kann man mit einem Login E-Mails schreiben, Videos bearbeiten oder Werbeanzeigen schalten. Alles mit derselben virtuellen Identität. Bei Office-Produkten habe ich im besten Fall am Ende sogar ein reales, ausgedrucktes Produkt in der Hand.
Alle Anforderungen von Matthew Ball erfüllt aber noch keine dieser „Welten“ – und vielleicht kann das auch erst passieren, wenn das Internet selbst zu diesem Metaverse wird.
Das Metaverse als nächste Weiterentwicklung des Internets
Macht man sich all das Bewusst, dass viele Teilaspekte schon existieren, ist die Dystopie des Metaverse vielleicht erst einmal gar nicht mehr so beängstigend, wie sie etwa Facebook darstellt. Es macht aber auch bewusst – und das schreibt Ball auch in einem Update zu seinem Essay – dass die Technik im ständigen Wandel ist. Und während das Internet in seiner Anfangszeit einen großen klobigen PC im Arbeitszimmer braucht, um für viel Geld wenige Stunden online zu gehen, hat heute fast jeder mit seinem Smartphone einen Mini-Computer in der Tasche, über den man ganz selbstverständlich von überall auf das Internet zugreifen kann – ja sogar Videos live übertragen oder ohne Bargeld bezahlen kann. Der Übergang von virtueller und realer Welt wird immer fließender.
Das Metaverse wird kommen – die Frage ist nur, wie dieses aussehen wird und wer die nächste große Iteration des Internets maßgeblich definieren wird. Klar ist: Immer mehr Geräte, von der Waschmaschine bis zum Fernseher, sind mit dem Internet verbunden. Es entwickeln sich immer neue Wege mit anderen zu kommunizieren. Und auch der klobige schwarze Klotz in der Hosentasche wird irgendwann durch eine neue Technologie abgelöst werden, die uns dabei hilft immer online und mit anderen verbunden zu sein.
Matthew Ball betont – im Gegensatz zu dem was Facebook in seinem Vorstellungsvideo zeigt:
Most commonly, the Metaverse is mis-described as virtual reality. In truth, virtual reality is merely a way to experience the Metaverse. To say VR is the Metaverse is like saying the mobile internet is an app.
Viele offene Fragen und die Angst vor der Ungewissheit
Diese Ungewissheit, was das Metaverse sein wird, ist zugleich das Spannende – aber auch das Beängstigende daran. Natürlich kann es sein, dass wir in zehn, zwanzig Jahren mit VR-Brille in den quetschbunten Welten von Meta (Facebook) abhängen. Ich schätze aber, dass es deutlich subtiler ablaufen wird. Vielleicht besitzen wir reale Güter wie Schuhe dann auch immer gleichzeitig virtuell in unseren Lieblingsspielen. Wenn wir etwas im Internet suchen wollen, wird es vielleicht in der Brille oder den Kontaktlinsen über die reale Welt eingeblendet. Und Filme schaut man eventuell nicht mehr auf dem Fernseher, sondern überall dort wo man möchte in einer Augumented Reality zusammen mit Freunden oder allein.
Die Gefahr, dass man sich in virtuellen Welten verliert, wird aber ohne Frage steigen – und auch das Risiko durch die ständige Verbindung zum „Metaverse“ deutlich transparenter für die Werbeindustrie oder (staatliche) Überwachung zu werden. Schließlich erzeugen wir schon jetzt immer mehr digitale Fingerabdrücke. Das wird auch in Zukunft nicht weniger werden.
Irgendwie ist es spannend – aber auch beängstigend – wenn man den Gedanken freien Raum lässt, was sein kann, oder könnte. Die Frage bleibt am Ende, ob die Vor- oder Nachteile überwiegen werden und wie sehr wir uns als Gesellschaft vor all den dystopischen Möglichkeiten schützen können.