Es ist unbestreitbar, das Mysteriöse beschäftigt und fasziniert Menschen. Waren die Amerikaner wirklich auf dem Mond? Kann man mit Kondensstreifen die Gedanken beeinflussen? Und was zur Hölle hatte Galileo Mystery mit den Illuminaten zu tun? Die typischen Fragen eben. Auch auf Youtube stellt sich oft die Frage: Wie echt ist all das, was ich da tagtäglich zu sehen bekomme? Sind die wirklich so aufgedreht und bekloppt oder spielen die nur eine Rolle für die Kamera? Auf die Spitze getrieben hat das eine Youtuberin, die sich selbst Poppy nennt und zu allerlei Vermutungen verleitet. Ein genialer Schachzug, wie ich finde.
Wenn man die Videos von Poppy (oder That Poppy) zum ersten Mal sieht, kann man nicht anders, als verstört zu sein und sich anschließend zu Fragen: Was habe ich da eigentlich gerade gesehen?
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Bedrohlich klingende Musik, ein hübsches Mädchen, das wie ein Roboter spricht und ein abruptes Ende. So sehen fast alle Videos von Poppy aus. Sie könnte direkt aus einem Horrorfilm entsprungen sein. Oder ist das ganze doch nur ein Hilfeschrei, weil sie von fremden Mächten gesteuert wird?
Musik mit unterschwelligen Botschaften?
Um ihre Person ranken sich viele Vermutungen. Fest steht, dass die Youtuberin, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht ist, indem sie vor laufenden Kamera Zuckerwatte isst, auf einmal auch angefangen hat Musik zu machen. In ihrem Musikvideo „Lowlife“ sieht man sie dann auch mit satanischer Geste und Illuminaten-Dreieck im Hintergrund sitzen, kurz bevor sie mit dem Teufel persönlich zu Abend isst. Wenn man möchte, kann man hier, genauso wie in ihren übrigen Videos, allerhand Subtext hineininterpretieren.
Was haben die Augen auf ihrer Kleidung zu bedeuten? Warum nutzt sie die Symbolik von Satan? Was für ein geheimnisvolles Gas atmet sie da ein? Und wieso signiert sie Autogramme mit einem Pinsel voller roter Farbe?
Hinter all den Mysterien steckt ein solider Pop-Song im Stil von Gwen Stefani oder Lady Gaga. Und genau das scheint der Knackpunkt zu sein. Sie ist nicht nur bei einem kleinen Indie-Label, sondern bei Island Records (und mittlerweile bei Interscope Records), das wiederum zu Universal gehört. Dem größten Musiklabel der Welt.
Das verstörende Mädchen von Youtube war nur der Anfang für eine Kunstfigur, deren primäres Ziel es offenbar ist, erfolgreich Musik zu machen und ganz nebenbei einer ganzen Branche den Spiegel vorzuhalten: Sind Künstler wirklich noch sie selbst? Mögen Fans alles was sie tun, egal, wie merkwürdig das ist? Wer bestimmt, wie ein Musiker sich öffentlich präsentiert?
Das ist eine Art der Konzeptkunst, welche die Mittel moderner Medienkommunikation für sich nutzt. Was sich bei „normalen“ Youtbern oft erst mit einem gewissen Erfolg ergibt – nämlich eine Single zu veröffentlichen – gehörte hier scheinbar von Anfang an zum Plan.
Gestartet ist ihr Kanal im November 2014, ihre erste Single erschien im Juni 2015, ihre erste EP im Februar 2016.
Die musikalische Vergangenheit gelöscht
Was steckt also hinter dem Projekt? Mit etwas Recherche finden sich im Netz Spuren zum Projekt und dessen Ursprüngen. Wer sich etwa Poppys Youtube– und Twitter-Accounts etwas genauer ansieht, wird feststellen, dass beide bereits 2011 angelegt wurden. Auf beiden Plattformen finden sich aber erst Inhalte, die ab 2014 entstanden sind.
Doch anscheinend hat sie auch schon vorher Musik gemacht, größtenteils waren das Coversongs. Poppy war damals noch unter dem Namen Moriah Poppy und mit braunen Haaren unterwegs. Darauf deutet etwa eine alte Fangruppe im russischen Social Network VK.com und eine kurze Suche bei Facebook hin. Dort finden sich alte Bilder, Audio-Clips und auch Links zu den – heute gelöschten – alten Videos auf ihrem Youtube-Kanal vor 2011. Bei tumblr und Soundcloud finden sich sogar noch ganze Songs unter ihrem alten Künstlernamen.
Diese Vergangenheit wurde aber, soweit es ihr offenbar möglich war, aus dem Netz getilgt. Es existiert nach außen nur noch die Kunstfigur Poppy. Das macht man, gerade als kleiner, noch unbekannter Künstler, meiner Meinung nach nur, wenn man sich seiner Sache wirklich sicher ist.
Hinter den kruden Videos auf ihrem Kanal steckt wiederum der Regisseur und Autor Titanic Sinclair, der ganz ähnliche Videos schon auf seinem eigenen Youtube-Kanal, aber auch gemeinsam mit anderen Künstlern, etwa mit der Musikerin „Mars Argo“, gedreht hat.
Eine Kunstfigur durch und durch
Beeindruckend ist, dass Poppy ihre Kunstfigur auch bei öffentlichen Auftritten perfekt durchzieht. In einem Video des Senders 92.3 AMP Radio ist ein – zugegebenermaßen – schlecht vorbereiteter Moderator zu sehen, den sie damit sichtlich aus der Fassung bringt.
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Beeindruckendes Beispiel für modernes Marketing
Was bleibt ist ein beeindruckendes Beispiel, wie man modernes Marketing mit langem Atem und dem Einschlag des Mysteriösen und Unnahbaren gestalten kann. Gut gemachte Konzeptkunst scheint auch heutzutage noch Menschen in ihren Bann ziehen.
Beeindruckend ist aber ebenso, wie sehr sich Moriah Poppy für ihren Traum Musikerin zu sein diesem Konzept unterwirft. So etwas hört nicht einfach beim Upload-Formular von Youtube auf, sondern zieht sich durch das gesamte Leben und führt, wie in ihrem Fall, zur Auslöschung eines ganzen (virtuellen) Lebensabschnitts, in dem sie an ihrem Traum gearbeitet hat.
Ob das Gesamtkunstwerk wirklich aufgeht wird sich erst mit der Zeit, wahrscheinlich anhand der Plattenverkäufe, zeigen. Auf ihrem Youtube-Kanal erscheinen jedenfalls aktuell wieder verstärkt Videos. Ein Ende scheint also erst einmal nicht in Sicht zu sein. Ich jedenfalls bin beeindruckt von dem, was Youtube heutzutage immer noch an überraschenden Inhalten hervorbringen kann.